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Topographie eines Prozesses

Ein gestalterischer Blick auf wissenschaftliche Forschung

Der Bildband «Topographie eines Prozesses. Ein gestalterischer Blick auf wissenschaftliche Forschung» geht in drei Kapiteln den Grabungen auf der Ufenau nach, wo 1958 bei der Renovation der Kapelle möglicherweise die Gebeine des an Syphilis erkrankten Reformators und Dichters Ulrich von Hutten entdeckt wurden. Obwohl wissenschaftlich widerlegt, hielt der zuständige Anthropologe an seiner These fest, bis 1969 ein zweites Skelett gefunden wurde. C14-Analysen von 2018 datieren das von Syphilis gezeichnete Skelett nun auf die Zeit vor 1493, was «Hutten» plötzlich zu einem brisanten Fall für die Medizingeschichte macht. Hier könnte der Beweis liegen, dass die Syphilis vielleicht doch nicht mit Kolumbus nach Europa kam. Welche Hinweise lassen darauf schliessen, dass es nicht der Reformator war? Weshalb wurde der Fall trotz negativen Resultaten weiterverfolgt? Lässt sich durch den Befund womöglich eine herkömmliche Theorie über die Verbreitung der Syphilis widerlegen? Die Komplexität und scheinbare Willkür dieses Informations- und Hypothesennetzes steht im Mittelpunkt des Projektes, das die Daten der Forscher mit eigenen Studien und visuellen Recherchen verbindet.

Interview

«Das Buch «Topografie eines Prozesses» wirft einen Blick auf ein Stück wissenschaftliche Forschung, wo Hypothesen aufgestellt und wieder verworfen werden.»

Janina Balsigers Diplomarbeit reflektiert wissenschaftliche Prozesse an einem Fallbeispiel, das mit der Ausflugsinsel Ufenau am Zürichsee und den Gebeinen des vermeintlichen Ulrich von Hutten Lokalgeschichte mit Weltgeschichte verknüpft und Geschichtswissenschaft, Anthropologie und evolutionäre Medizin mit ihren je eigenen Fachkulturen aufeinandertreffen lässt. Huttens letzte Tage, von C.F. Meyer zum berühmten Gedichtszyklus verarbeitet, erleben hier eine zweite Diskussion. Diese zeigt Brüche und Unsicherheiten im wissenschaftlichen Forschungsprozess auf, in dem Hypothesen durch neue Fundstücke, Visualisierungen oder Messmethoden aufgestellt und wieder verworfen werden. Der zweite Teil des Buches dokumentiert Janinas eigenen gestalterischen Forschungsprozess, der in seiner mäandernden Art den Ablauf des wissenschaftlichen spiegelt. Janina ist es gelungen, in einem attraktiv gestalteten Buch die Deutungsoffenheit von epistemischen Bildern und die Unbeständigkeit von wissenschaftlichen Tatsachen spielerisch und doch aufschlussreich zu behandeln. So entpuppt sich die mikroskopische Aufnahme eines von Syphilis gezeichneten Knochens im zweiten Teil als Fotografie ihrer Kaffeetasse. Und die Identifizierung des zweiten Skeletts als ein weibliches führt zur ebenso folgerichtigen wie absurden Hypothese, dass Hutten in Wahrheit eine Frau gewesen sein könnte. Janinas Arbeit präsentiert ein Stück Artistic Research, das die eigene Fachrichtung und die Disziplinen ihrer Auftraggeber mit Intelligenz und Witz hinterfragt.

Die Arbeit entstand in Kooperation mit dem Institute of Evolutionary Medicine IEM, Universität Zürich.