Wie lässt sich das Motiv der Reise anhand archivalischer Zeitungsreportagen narrativ entschlüsseln und in einem editorialen Format neu beschreiben? Jörg Roth schrieb die meiste Zeit seiner Karriere in den 1980er- und 1990er-Jahren als Reiseredaktor für die Münchner «Abendzeitung». Seine Artikel bilden, gemeinsam mit den dazugehörigen analogen Reisefotografien, die Grundlage dieser Masterarbeit. In der spezifischen Forschungsarbeit werden die einzelnen Komponenten des Bestandes durch systematische Methoden der visuellen Kommunikation analysiert, katalogisiert und editiert. Ziel ist es, die erzählerischen Qualitäten des historischen Materials dadurch zu erschliessen und zu erweitern, um das Motiv der Reise in einem gegenwärtigen editorialen Format neu zu entfalten.
Die Arbeit von Julie Friess beschäftigt sich mit der hochaktuellen Frage, wie Gestalter:innen mit Archivmaterialien neu umgehen können. Welche neuen Perspektiven lassen sich darauf werfen? Welche neuen, zeitgenössischen Erzählungen können aus diesem Material entstehen? Wie verändert dies unseren Blick auf die Geschichte sowie zeitgenössische soziale und kulturelle Entwicklungen?
Julie Friess versteht es virtuos, diesen Prozess zu erforschen und die damit verbundenen Herausforderungen gestalterisch produktiv und sehr überzeugend zu nutzen. Systematisch durchgeführte Experimente zeigen die Bandbreite an Möglichkeiten der Kontextualisierung auf (z.B. der Vergleich von Archivbildern mit Instagram-Bildern). Das darin enthaltene Wissen wird durch die ausführliche Erläuterung anderen Gestalter:innen zugänglich gemacht. Besonders innovativ ist dabei die holistische Perspektive: der editorial-gestalterische Prozess beginnt bereits bei der Beschreibung der Sammlung und Aufbereitung des Materials, und endet nicht mit der Umsetzung, sondern spekuliert weiter auf einen Perspektivwechsel der Betracher:innen, die mit dem editorialen Produkt (hier exemplarisch: ein Buch) in Dialog treten.
Link:
visualcommunication.zhdk.ch/diplom-2021/sammeln-katalogisieren-editieren
«Auch in der Zukunft möchte ich Fragestellungen und neue Zusammenhänge durch den unmittelbaren Gestaltungsprozess beforschen und sichtbar machen — sowohl in meiner Praxis als Gestalterin, als auch im Dialog mit anderen Perspektiven, z.B. im Rahmen der Forschung oder Lehre.» – Julie Friess