Wie gestaltet sich der Prozess der Aneignung und wie kann man dessen Potenzial visuell sichtbar machen? Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Bildern greifen viele Gestaltende nicht mehr auf eigene Produktionen zurück, sondern bedienen sich an kollektiven Sammlungen, um eigene Werke zu produzieren. Diese Aneignungsprozesse gestalten sich unterschiedlich. Ihr Verlauf ist davon abhängig, auf welches Material die Gestaltenden treffen, welche Teile des referenziellen Objekts übernommen werden und welchen Eigenanteil sie hinzugeben. Die Prozesse stehen im Spannungsfeld zwischen Vorgegebenem und Veränderbarem sowie zwischen Reproduktion und Transformation. Obwohl sich die Transformation und damit die Eigenleistung der Gestaltenden im Laufe des 21. Jahrhunderts verändert hat und sie allmählich immer mehr in den Hintergrund getreten ist, bleibt sie Bestandteil des Prozesses, der diesen mitbestimmt.
In «Aneignung im gestalterischen Kontext» werden Prozesse untersucht, in denen sich Kunst- und Designschaffende Bilder strategisch aneignen. Das Aneignungsobjekt «Bild» steht dabei im Fokus. Die Prozesse werden mittels Literaturrecherche, Interviews, semiotischer Bildanalyse und visueller Experimente analysiert. Es wurde festgestellt, dass Aneignung ein Prozess ist, der sich kontinuierlich fortsetzt, solange Bildmaterial vorliegt, abgespeichert, reproduziert und verteilt wird. Bilder, die sich Kunst- und Designschaffende angeeignet haben, können erneut angeeignet werden. Oft tritt die Aneignung in einen visuellen Dialog mit dem referenziellen Objekt. Gefühle der Neugierde und des Erforschens auf Seiten der Gestaltenden sind dabei zentrale Bestandteile des Prozesses, gerade auch dann, wenn es zur Transformation des referenziellen Bilds kommt. Im Prozess der Aneignung werden so neue Assoziationen und Konnotationen geschaffen, die den Gestaltenden zu neuen Werken und Darstellungen inspirieren können. Das aus dem Projekt resultierende Artefakt, ein Bildkatalog, möchte diesen Prozess zwischen Reproduktion und Transformation übersetzen und damit das Potenzial sichtbar machen, das in diesem Prozess liegt.
Das Projekt «Aneignung im gestalterischen Kontext» von Carolin Siebeneich nimmt eines der virulentesten Themen im Bereich Design auf: den Prozess der gestalterischen Aneignung. Ihre Arbeit ist eine der ersten, die in äusserst rigoroser und forschungsorientierter Form Aneignung untersucht, sowohl auf einer gestalterischen wie auch theoretischen Ebene. Das Projekt verhandelt das Thema der Aneignung anhand vom Umgang mit Bildern; die Erkenntnisse sind jedoch auf viele weitere gestalterische Bereiche übertragbar. Die Erkenntnisse und Experimente wurden in einem Buch zusammengefasst, das die Leser dazu einlädt, den Aneignungsprozess durch eine eigene Aneignung der gezeigten Bilder nachzuvollziehen und weiter fortzusetzen. So wird Aneignung für den Leser erfahrbar und das Buch wird zum Medium eines erfahrungsorientierten Erkenntnisgewinns, der als exemplarisch für gestalterische Forschung angesehen werden kann.